Jan Fleischhauer. (Focus)

Liebe Abonnenten des Schwarzen Kanals,

der Erfinder des Sozialstaates war ein Machtmensch, und ein Zyniker war er auch. Reichskanzler Otto von Bismarck, der Krankenversicherung (1883), Unfallversicherung (1884) und Altersversicherung (1889) gründete, machte aus seinen Motiven kein Geheimnis: »Mein Gedanke war, die arbeitenden Klassen zu gewinnen, oder soll ich sagen zu bestechen, den Staat als soziale Einrichtung anzusehen, die ihretwegen besteht und für ihr Wohl sorgen möchte.«

Seither wurde seine vergleichsweise plumpe Methode der Herrschaftssicherung zu einem Bevorzugungs- und Betreuungssystem ausgebaut, das alle gesellschaftlichen Gruppen erfasst, die meisten gleich mehrfach, nach immer neuen sozialen Kriterien und Merkmalen gestaffelt.

Der moderne Sozialstaat erzwingt keinen Gehorsam mehr, er erkauft ihn sich. Sein Leitbild ist der Bürger als Kostgänger, und deshalb ist es nur folgerichtig, dass er sich diesem in fast allen Lebenslagen als Appellationsinstanz anbietet. Die Leistungspalette seiner Wohltaten spiegelt das gesamte Anspruchsvolumen bundesdeutscher Durchschnitts- und Besserverdiener.

Neben die klassische Grundversorgung im Alter, bei Krankheit und Arbeitslosigkeit sind großzügige Beihilfen zur Ausbildung, Kinderbetreuung, Wohnungsanmietung, Freizeitgestaltung und Vermögensbildung getreten. Der deutsche Wohlfahrtsstaat sorgt für verbilligte Opernbilletts und Sprachreisen in die Toskana ebenso wie für kostenlose Eheberatung und sozial gestaffelte Telefontarife.

Er übernimmt im Einzelfall das Entfernen karrierehinderlicher Modetorheiten wie Tätowierungen, bietet finanzielle Entschädigung für schlechtes Wetter und frostreiche Winter und hat selbst die Fragen entschieden, ob Arbeitslose einen gesetzlichen Anspruch auf ungestörte Urlaubsreisen haben oder ob Touristen mit freiem Rücktransport rechnen dürfen, wenn ihre Reisegesellschaft falliert.

Kein Wunder, dass er so teuer geworden ist. Mit sozial hat er auch nicht mehr viel zu tun – es sei denn, man bezeichnet jede Umverteilung, egal zu wem und wohin, als soziale Tat.

Herzlicher Gruß zum Wochenende
Ihr
Jan Fleischhauer

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert